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Was machen wir mit der Community?

Jesko Fezer

Jesko Fezer unterrichtet Experimentelles Design an der HFBK Hamburg. Mit der öffentlichen Gestaltungsberatung hat er einen Methode gefunden, die Studierenden innerhalb eines Stadtraums mit echten Designproblemen von echten Menschen zu konfrontieren. Zudem hat seine Klasse über Jahre hinweg die eigene Arbeit beobachtet und untersucht. Herausgekommen sind nicht nur diverse Masterabschlüsse der Studierenden, sondern auch Reihen von Vorträgen und Veranstaltungen sowie Publikationen.

Ich frage mich zunehmend, wie wir im Kontext gesellschaftlich engagierter gestalterischer Praxis mit dem, was auf English Community genannt wird, umgehen sollen. Ich verwende den Begriff selbst im Kontext der Öffentlichen Gestaltungsberatung St. Pauli. Er hat offenbar Konjunktur. In sozial engagierten Design- und Kunstpraktiken scheinen seit einiger Zeit Gemeinschaft, Nachbarschaft, Stadtteil oder Community oft für das eingesetzt zu werden, was früher mit dem Begriff Gesellschaft, bzw. Society gemeint war. In neueren Designansätzen wie community-based design, community-led design, community-driven architecture oder community-centered design und so weiter liefert die sozialräumliche Kategorie der Gemeinschaft den Rahmen, um die Idee des sozialen Engagements praktisch werden zu lassen. Im Gegensatz zum Sozialen – das es zunehmend ersetzt – scheint Gemeinschaft ein zeitgemäßeres emanzipatorisches Versprechen abzugeben und praktischer für die gestalterische Anwendung zu sein, indem es Teile der Gesellschaft konkret zu erfassen und zu verorten hilft. Aber was und wer ist mit diesen Gemeinschaften, Nachbarschaften, lokalen Akteur*innen und so eigentlich gemeint und wie ist diese begriffliche Verschiebung weg vom Gesellschaftlichen zu erklären?

Die Idee des Sozialen – also des Sozialen wie in Sozialvertrag, Sozialversicherung, Sozialstaat, Sozialismus, sozialer Wohnungsbau, soziale Wohlfahrt oder soziale Gerechtigkeit – beruhte auf dem Versprechen einer mehr oder weniger gleichen, gerechten, gesamten und verbundenen Gesellschaft. Sie wurde bereits vor Jahren durch die neoliberale Feier der Macht individualistischer Marktkräfte schwer beschädigt. Eine Gemeinschaft hingegen kann soziologisch als eine Gruppe von Menschen definiert werden, die eine gemeinsame Geschichte haben, in einem bestimmten Gebiet leben, gemeinsame Interessen pflegen oder sich gemeinsamen Werten verpflichtet fühlen. Während die Gesellschaft eine komplizierte historische Übereinkunft darstellt, die auf die Einhaltung diverser Abmachungen drängt, um Zusammengehörigkeit überhaupt erst zu schaffen, stellt sich die Gemeinschaft als etwas im Voraus Gegebenes dar.

Diese angenommene Natürlichkeit und intuitive Evidenz von lokal verankerten Gemeinschaften ist allerdings weder eine realistische noch eine positive Vorstellung. Im Kontext der andauernden neoliberalen Bestrebungen, die (sozial-)organisatorische Rolle der Politik durch den Markt zu ersetzen, stellt die Forderung nach lokaler und gemeinschaftlicher Dynamik nicht nur eine potenziell essentialistische Wendung dar, sondern bildet ein weiteres Instrument zur sozialen Deregulierung. Der Neoliberalismus stützt sich auf die Differenz institutioneller, sozialer und politischer Parameter. Der Übergang von der Gesellschaft zur Gemeinschaft bestärkt eine Technik des Regierens, die auf der Akzeptanz und Förderung von Gruppen von Menschen mit unterschiedlichem Einkommen, Gesundheit, Bildung, Zugang zu Kultur, ökologischen Qualitäten und Lebensstandards beruht. Der Aufstieg der Gemeinschaft als das neue Soziale verlagert den Fokus von einem umfassenden sozialen Raum zu differenzierten und überschaubaren Zonen von Gemeinschaften.

Bereits 1996 beobachtete der Sozialwissenschaftler Nikolas Rose ein Interesse des Marktes, Verbraucherinnengruppen mit gemeinsamen Erfahrungen zu definieren, und das Bemühen von Planerinnen, Pädagoginnen, Polizistinnen und Politikerinnen, Menschen in Territorien und Interessen zu sortieren, um sie besser zu verstehen und anzusprechen. Er erklärte: „Community has become a new spatialization of government: heterogeneous, plural, linking individuals, families, and others into contesting cultural assemblies of identities and allegiances.“1 . Nach Rose artikuliert sich das neue „Regieren durch Gemeinschaft“ in einer Reihe von Verschiebungen: räumlich, vom Terrain des Staates zur Lokalität verschiedener Gemeinschaften; sozial, von Regulierung und Wohlfahrt zu individuellem und freiwilligem Gemeinschaftsengagement; und subjektiv, von Staatsbürgern zu persönlich gewählten oder gegebenen Identitäten, die sich aus direkten, emotionalen, greifbaren, traditionellen, spontanen und anderen Gemeinschaftsbeziehungen ergeben. Diese Phänomene verdecken in entscheidender Weise die eindeutig neoliberale Ideologie des Selbstregierung der Subjekte in ihrer Selbstverortung als „enterprises, associations, neighborhoods, interest groups and, of course, communities.“*2 .

Kann Community vor diesem Hintergrund also einen emanzipativen Bezugsrahmen für kritisch Urbane Praxen darstellen? Und was hieße das alles für eine lokal verortete politisch und soziale engagierte Designpraxis, wie z.B. unsere Öffentliche Gestaltungsberatung St Pauli, die sich explizit auf nachbarschaftliche Anliegen und Akteur*innen bezieht? Wie sieht eine politische Perspektive auf Design aus, die von den Bedürfnissen der Menschen vor Ort ausgeht, ohne die deren Formatierung zugrundeliegenden Machtstrukturen zu übersehen, die möglicherweise nicht unmittelbar erfahrbar sind? Was ist – wenn man den Titel dieser Veranstaltung nimmt – wirklich schon da und was vielleicht nicht?

  1. Nikolas Rose: „The Death of the Social? Re-figuring the Territory of the Government“, in: Economy and Society Nr. 3, August 1996, S. 327-356, S. 327.
  2. Ebenda, S 352.
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